Winternothilfe 2022/23

Noch vor einem Jahr führte Familie Rahimi ein für afghanische Verhältnisse normales Leben. Die Familie hat zwei Söhne und fünf Töchter, beide Eltern arbeiteten im Garten und weiter draußen hüteten sie das Vieh. Vater Mohammad war für seine Gutmütigkeit in der Gemeinde bekannt. Dann erschossen die den Taliban nahestehenden Kuchi den Vater beim Ziegenhüten. Die Mutter konnte fliehen, verletzte sich jedoch dabei. Seitdem verarmt die Familie. Obwohl die Mutter ihr Bestes gibt, kann sie nicht mit den steigenden Preisen mithalten und ihre Kinder ausreichend versorgen. Mittlerweile ist die Familie so arm, dass sie sich zu acht ein einziges paar Schuhe teilen müssen.

Leider sieht das Schicksaal von Familien überall in Afghanistan so oder ähnlich aus. Das Leben vieler Menschen ist ständig durch Naturkatastrophen, Räuber und politisch motivierte Gewalt bedroht. Vor allem, wenn der Familienvater als Versorger stirbt, bedeutet das für die restliche Familie nicht nur Trauer, sondern auch den Ruin. Extreme Temperaturen von über 45 Grad im Sommer und unter minus 30 Grad im Winter, Überflutungen und politische Unsicherheit erschweren die Situation besonders für die ärmsten Menschen. Zusätzlich bedeutet die weitverbreitete Arbeitslosigkeit für viele Aussichtslosigkeit, Hunger und Krankheit.

Angesichts der katastrophalen Humanitären Lage in Afghanistan, entschieden wir uns, möglichst vielen armen Familien durch den Winter zu helfen. Dafür verbündeten wir uns im Herbst 2022 mit der Banu Initiative, um gemeinsam Geld zu sammeln. Durch Aufrufe über Facebook und die Webseiten und über Anfragen an Stiftungen und Unternehmen konnten wir über 10.000 Euro sammeln.

Wir überwiesen das Geld an Vertrauenspersonen in Afghanistan, die vor Ort die Hilfsgüter kauften und zu den Bedürftigen fuhren. Zuvor hatten sie uns die Situationen der einzelnen Familien geschildert. Die Käufe belegten die Projektleiter mit Quittungen, die Übergabe an die Familien mit Fotos.

Insgesamt erreichte unsere Hilfe 94 Familien. Die Hilfspakete bestanden größtenteils aus Lebensmitteln, aber auch aus frei verfügbarem Bargeld, mit dem die Familien zum Beispiel Kleidung kaufen konnten.

Auch Familie Rahimi erreichte eine Hilfsleistung von umgerechnet 138 Euro. Die Familie hat den Winter überstanden und hat versucht, den Mord anzuzeigen, leider erfolglos. Das Geld war kein Befreiungsschlag, aber es sorgte für eine dringend nötige Atempause.

Das Dorf Dashte-abkho gibt es erst seit ein paar Jahren. Viele verschiedene vertriebene Hazara-Familien aus allen Ecken Afghanistans errichteten vor zwanzig Jahren die ersten Hütten. Mittlerweile hat sich eine gute Dorfgemeinschaft aus 60 Familien gebildet, die die Herausforderungen des afghanischen Alltags gemeinsam angehen. Die bröckeligen Lehmhütten stehen relativ nahe beieinander und jede Familie hat einen kleinen Garten für den eigenen Bedarf. Die Dorfbewohner arbeiten zusammen, und die Taliban lassen das abgelegene Dorf in Ruhe. Trotzdem ist das Leben von vielen Menschen sehr hart. Vor allem Witwen und deren Familien, sowie kranke Menschen kommen nur sehr schwer über die Runden. Wir konnten insgesamt 20 Familien mit einem Hilfspaket aus Reis, Mehl, Bohnen, Erbsen und Tee, sowie umgerechnet 33 frei verfügbaren Euro über die harten Wintermonate helfen.

Das Dorf Chehel Baghtuy Pashi ist eine lose Gemeinde aus Bauern, hoch oben in den afghanischen Bergen. Im Vergleich zu Dashte-abkho sind die Häuser besser befestigt und stehen deutlich weiter auseinander. In einer Höhe von 1.700 Metern ist der Winter so hart, dass ein Lastwagen keine Chance hat, durch den meterhohen Schnee zu kommen. Deswegen konnten wir die hilfsbedürftigen Familien nicht direkt mit Reis, Mehl oder Brennstoff versorgen, sondern nur mit Bargeld. So bleibt den Dorfbewohnern mehr Selbstbestimmung und Flexibilität. Trotzdem bekommen sie für das Geld lange nicht so viel Essen und Heizmaterial, wie wir bei einem Großeinkauf für sie erwerben hätten können. An 13 Familien in Not konnten wir Beträge zwischen 20 und 160 Euro übergeben.

Die brutale Wucht des Krieges und vor allem die Grausamkeit der Taliban erwischte Jaka Pashi mit voller Kraft. Vor dem Machtwechsel kämpften viele Männer des Dorfes gemeinsam gegen die Taliban. Nach dem Sturz der früheren afghanischen Regierung 2021 kam die Rache schnell: Die Taliban machten sich auf den langen Weg durch die Berge, um dem Dorf alle Waffen zu nehmen und zwölf Männer zu exekutieren. Die übriggebliebenen Familien flohen, wenn sie konnten, und tauchten unter. Die Dorfgemeinschaft ist seitdem schwer traumatisiert. Die Taliban verbieten den Frauen draußen zu arbeiten, die Männer dürfen nicht mehr zum Arbeiten in den Iran, außerdem vernichtete eine Überschwemmung im letzten Sommer große Teile der Ernte. Für die 2.500 Menschen des Dorfes berät sich ein Ältestenrat über Maßnahmen und Lösungen für die Probleme, meist wendet er sich an uns. Wir konnten insgesamt 26 Familien mit besonders harten Schicksalen unterstützen. 20 mit Reis, Mehl, Bohnen, Öl und umgerechnet 44 Euro und sechs weitere mit umgerechnet jeweils 75 Euro. Darunter auch Familien, deren Väter von den Taliban ermordet wurden.

Bakar ist eine kleine Stadt in einem von einem Fluss durchlaufenen Tal. Wenn der Schnee im Frühling schmilzt, gefährden Lawinen, Erdrutsche und Überschwemmungen die Bewohner. Im Winter sind die Straßen unbefahrbar und Bauarbeiter müssen die von Erdrutschen zerstörten Straßen jedes Jahr wieder reparieren. Zwischen den in Bakar ansässigen Hazara und dem Nomadenvolk der Kuchi gibt es einen ständigen Konflikt um das wenige fruchtbare Land. Vermutlich starb Mohammad Rahimi deswegen. Die Verhältnisse sind unfair: Die Hazara dürfen keine Waffen tragen und die Taliban verfolgen die Hazara schon lange, während die Kuchi bewaffnet sind und die Taliban hinter sich haben. Den Taliban gelingt es nicht, die Zeit zurückzudrehen, sodass auch heute noch Frauen neben Männern arbeiten. Neben Familie Rahimi konnten wir sechs weitere Familien mit ähnlichem Schicksal durch Hilfsgüter im Wert von 90 Euro helfen.

Während unsere Hilfe vor allem Angehörige der Hazara-Ethnie erreicht, konzentriert sich die Banu Initiative auf die Unterstützung von alleinstehenden Frauen, meist im Umland von Kabul. Momentan sind Witwen zuhause gefangen, da sie das Haus nur mit männlicher Begleitung verlassen dürften. So ist es für sie unmöglich, ihre Kinder zu versorgen. Die HelferInnen der Banu-Initiative suchen diese Frauen, oft mit Tipps von besorgten Bürgermeistern. Die männlichen Helfer kaufen die Ware, mieten einen Transporter und fahren zu den Wohnungen der Frauen. Bei der Übergabe der Waren ist meist eine Frau dabei, damit die Witwen vertrauen fassen können. Die Banu-Initiative konnte zuerst 31 Frauen und deren Familien mit Geld, Kohle und Nahrungsmitteln unterstützen und später nochmal 16 junge Flaschensammler. Die Hilfsarbeit ermöglicht nicht nur den Familien ein besseres Leben, sondern lässt auch die Helfer und Helferinnen aufblühen.